Zu der aktuellen Ausgabe des Forum Magazins der Friedrich-Ebert-Stiftung zum Thema “Zeit” habe ich einen Artikel über Facebook beigetragen. Darin gebe ich auf den Seiten 26 und 27 einen Einblick in meine aktuelle Forschung und lege dar, inwiefern sich Facebook mit anderen Anbietern in einem mehrseitigen Konkurrenzkampf befindet und weshalb es dabei um unsere Zeit geht. Die aktuelle Ausgabe gibt es exklusiv für Stipendiat*innen der Friedrich-Ebert-Stiftung hier als PDF zum Download. Für alle ohne Zugang zum FES-Portal habe ich mir erlaubt meinen Artikel auch hier zu veröffentlichen:
Sie wollen unsere Zeit
Facebook & Co machen süchtig – aber warum? Dahinter steckt mehr als Design nach Nutzer*innen-Nachfrage oder gar Zufall. Der Schlüssel zum Verständnis der Unternehmensziele ist die Marktstruktur der Internetunternehmen und die starke Konkurrenz im Kampf um unsere Zeit. Mark Zuckerbergs Vision ist, dass wir sein Universum nie wieder verlassen.
Soziale Netzwerke wie Facebook samt ihren Apps haben hohes Suchtpotential. Die Ursachen dafür sind bekannt. Eine Studie der norwegischen Universität Bergen aus dem Jahr 2016 belegte erstmals, dass die Nutzung von Facebook die gleichen Hirnbereiche stimuliert, die auch für Suchterkrankungen verantwortlich sind. Somit wirkt das Netzwerk auf Menschen ähnlich wie Glücksspiel und Drogenabhängigkeit. Die Internetforscherin Prof. Sarah Diefenbach verglich in einem Interview mit dem Tagesanzeiger das Suchtpotential von Social-Media-Plattformen mit dem Prinzip des einarmigen Banditen in Kasinos. Ist das Sucht-Stimuli erzeugende Website- und App-Design ein Produkt des Zufalls? Oder ist es nach der Nach frage der Nutzer*innen gestaltet, die alle schon immer süchtig nach Klatsch,
Tratsch und Selbstdarstellung waren? Das Institut für Informatik und Gesellschaft der Universität Freiburg hat sich dem Problem aus einem ökonomischen Blickwinkel genähert und kommt in einer Untersuchung zu dem Ergebnis, dass eine Erklärung für das Sucht-Phänomen in der Marktstruktur steckt, in der die Unternehmen agieren.
Facebook & Co – eine Medaille mit zwei Seiten
»Facebook, Google & Co sind in ihrer Branche Monopole und müssen deswegen staatlich reguliert werden!« Das ist eine viel-diskutierte These in der Wirtschaftswissenschaft. Doch eine genauere Analyse zeigt, dass die Unter nehmen in einem mehrseitigen Markt agieren, in dem sie auf allen Seiten mit Konkurrenz zu kämpfen haben. Bekannt sind solche Marktstrukturen unter anderem aus klassischen Offline-Märkten wie den Tageszeitungen. Diese haben häufig auf der Seite der Leser*innen ein lokales Monopol inne. In der Regel abonnieren Leser*innen nur eine Tageszeitung pro Haushalt und tendieren je nach Region zu einer bestimmten Zeitung. Auf der anderen Seite stehen Tageszeitungen allerdings in Konkurrenz mit anderen Print-Medien um willige Werbekund*innen, die Anzeigen schalten.
Ebenfalls bekannt aus dem Zeitungsmarkt ist, dass jene Anzeigenkund*innen die Leser*innenschaft subventionieren. Denn während der*die Leser*in im Allgemeinen nur eine Zeitung abonniert, verteilen Anzeigenkund*innen ihr Budget gerne über mehrere Medien. Daher ist es lukrativ für eine Zeitung, sich
durch günstige Abonnements eine große Stammleser*innenschaft und ein lokales Monopol zu sichern und im Gegenzug mehr Gewinne aus dem Anzeigenverkauf zu generieren. In diesem Fall subventionieren die Werbetreibenden die Leser*innen. Dieses Prinzip findet sich nicht nur bei Tageszeitungen, sondern in vielen mehrseitigen Marktstrukturen, wie dem Kreditkarten-System oder dem Spielekonsolen-Markt.
Werbung im Internet: Zu billig?
Besteht also auch das Geschäft der Internetdienste fast nur aus Werbekundschaft? So einfach ist es nicht. Das Online-Geschäft hat die Strukturen der mehrseitigen Märkte nicht nur zugespitzt, sondern auch verkompliziert. Dank fortgeschrittener Möglichkeiten in der Datenanalyse bringt der Online-Anzeigenmarkt die passende Anzeige immer präziser zu den jeweiligen Nutzer*innen. Durch automatisierte Online-Versteigerungen im Mikro-Sekunden-Takt konkurriert die Werbekundschaft intensiv um die Werbeplätze in unseren Facebook-, Instagram- und Twitter-Timelines oder in den Ergebnissen unserer Google-Suche. Wird man überboten, gehen die begehrten Anzeigeplätze dank eines
Targeting Algorithmus unmittelbar an die direkte Konkurrenz.
Trotz dieser Effizienz und dem daraus resultierenden starken Wettbewerb zeigen Untersuchungen, dass der Preis für Online-Anzeigen im Vergleich zu den Printmedien unverhältnismäßig günstig ist. So liegen nach Analyse der Universität Freiburg die Kosten einer Werbeanzeige mit einer Reichweite von 1.000 Menschen in Deutschland für Tageszeitungen im Mittel bei rund 50 Euro. Die Kosten für die gleiche Reichweite liegen bei Facebook bei rund acht Euro. Nicht vorhandene Redaktions-, Druck- und Auslieferungskosten bei Online-Medien reichen nicht aus, um diesen Preisunterschied zu erklären – immerhin sind auf der anderen Seite Entwicklungs- und Serverkosten zu bilanzieren. Zudem nähern sich die Gesamtausgaben für die Branchen auch in Deutschland immer weiter an. Laut einer Studie des Bundesverbands Digitale Wirtschaft wurden 2015 knapp acht Milliarden Euro für Printmedien- und rund sechs Milliarden Euro für Online-Werbung ausgegeben.
Dementsprechend ist Online-Werbung schon lange kein Underdog mehr und hat beispielsweise die Ausgaben für TV-Werbung längst überholt. Im Gegenzug verlangen Facebook, Google & Co für die Nutzung von uns Verbraucher*innen keinen Cent. Daher sieht es auf den ersten Blick so aus, als würden in diesem Markt die Werbetreibenden die Nutzer*innen voll subventionieren, trotz vergleichbar geringer Anzeigenpreise. Dafür spricht auch, dass zum Beispiel Facebook 97 Prozent seines Umsatzes mit eben jener Werbung erzielt. Zudem verteilen sich rund 40 Prozent der weltweiten Online-Werbeumsätze auf die Big Player Google und Facebook, während sich der Rest des Marktes die verbleibenden 60 Prozent streitig macht. Ein Indiz dafür, dass auch im Online-Marketing das Budget der Anzeigenkund*innen auf die verschiedenen Plattformen verteilt wird.
Daten gegen Nutzung
Die klassische wirtschaftswissenschaftliche Theorie kommt allerdings bei der Betrachtung der Nutzer*innen-Seite ins Stocken. Wir abonnieren Facebook nicht wie eine Tageszeitung, sondern
nutzen es kostenlos. Jedoch ist uns allen bewusst, dass wir zwar nicht mit Geld, aber mit unseren persönlichen Daten für die Nutzung von Social-Media-Angeboten wie Facebook zahlen. Trotzdem
unterschätzen nahezu alle Nutzer*innen die Menge an abgegriffenen Daten und die daraus ermittelbaren Informationen dramatisch. Das beidseitige Einverständnis für den Deal »Daten gegen
Nutzung« erlaubt, diese Transaktion als Zahlung zu interpretieren. Wir können diesem Deal auch eine Zahl zuordnen: 4,83 US-Dollar pro Quartal bzw. rund 1,53 Euro pro Monat nach aktuellem Währungskurs, betragen die Werbeinnahmen von Facebook im Schnitt pro Nutzer*in im letzten Quartal 2016. Darin nicht inbegriffen sind alle zukünftigen Nutzungen unserer Daten und den daraus gewonnenen Erkenntnissen. Dennoch bleibt der Betrag weit unter dem, was ein durchschnittliches Zeitungsabonnement kostet. Komplizierter wird die Betrachtung bei der Analyse der parallel genutzten sozialen Netzwerke pro Person.
Der Theorie nach sollten die Nutzer*innen Singlehomer sein und sich auf ein soziales Netzwerk, wie zum Beispiel Facebook, beschränken. Allerdings zeigt die Studie Social Media Update 2014 des Pew Research Center, dass über 50 Prozent der Nutzer*innen mehrere Netzwerke parallel nutzen, also multihomen. Die Tendenz hierbei ist steigend, da Newcomer wie Instagram oder Snapchat den Markt zunehmend aufwirbeln. Die parallele Nutzung mehrerer Dienste ist nachvollziehbar, denn alle Netzwerke sind kostenlos nutzbar – im Gegensatz zum Abonnement einer handelsüblichen Tageszeitung. Wie also schafft es der Marktführer Facebook so viele Nutzer*innen an sich zu binden, die Anzeigenpreise niedrig zu halten und sich erfolgreich gegen die Konkurrenz auf allen Seiten durchzusetzen? Die Antwort darauf ist: Mit unserer Zeit.

Unsere Zeit macht den Unterschied
In einer Netzwelt, in der sich zunehmend mehr Nutzer*innen bei vielen Diensten parallel registrieren und sich deren Apps alle griffbereit auf dem Smartphone installieren, gibt es für die Dienstleister nur ein wirkungsvolles Werbeversprechen an die Anzeigenkund*innen: Bei uns verbringen die Menschen die meiste Zeit! Denn mehr Zeit pro Nutzer*in im Netzwerk ist für die Unternehmen eine Win-Win-Situation: Sie können mehr Anzeigen einblenden und zudem mehr Daten abgreifen und analysieren, um die Anzeigen zielgerichteter zu platzieren.
Die Studie des Pew Research Center zeigt auch, dass Facebook immer häufiger genutzt wird: 70 Prozent der registrierten Nutzer*innen griffen 2014 täglich darauf zu und 45 Prozent sogar mehrmals täglich, das war ein Zuwachs von 63 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der nächste Konkurrent von Facebook in der Social-Media-Welt ist Instagram, mit einem Anteil von 49 Prozent täglicher Nutzung. Interessant ist, dass Instagram bereits 2012 vielleicht genau aus diesem Grund von Facebook aufgekauft wurde. Und während der Wert von Daten zu einem Grenzwert konvergiert – sprich: die x-te Erkenntnis über mich ist nicht so wertvoll wie die erste – so bleibt der Wert unserer Zeit immer konstant.
Mit diesem Hintergrundwissen wird auch die aggressive Strategie von Facebook in den letzten Jahren verständlicher: Die Übernahmen von Instagram (2012) und WhatsApp (2014) sowie das Implementieren immer neuer Funktionalitäten, wie dem direkten Einbinden von Zeitungsartikeln, den Ticketverkauf-Optionen bei Events (beides 2015), einem internen Browser in der App, den neuen Verkaufsgruppen und der Möglichkeit des Video-Livestreaming (alles 2016). All dies trägt dazu bei, dass die Menschen noch öfter und länger Zeit im Facebook-Universum verbringen. Dies ermöglicht es Facebook, seinen Nutzer*innen mehr Daten zu entlocken und mehr Werbung zu präsentieren, was den Werbepreis drückt. Teil der Unternehmensstrategie ist also, den*die Nutzer*in süchtig nach dem Netzwerk zu machen.
Dieses Beispiel lässt sich aber nicht nur mit Facebook konstruieren, sondern auch mit Google, Yahoo und anderen Unternehmen der Branche samt ihren Netzwerken und Apps. Im Internet tobt ein Kampf um unsere Zeit, angeführt von Facebook und Google. Wir subventionieren mit jeder verbrachten Minute auf den Plattformen die Werbeindustrie und halten so die Online-Werbepreise niedrig.